 Samuel Pepy
|
2
Books about Life in London & Life in General
LONDON. Man schreibt das Jahr 1660. Mit dem
Tod Oliver Cromwells findet die puritanischen Militärdiktatur endlich
ein lang ersehntes Ende und der aus dem französischen Exil zurückgekehrte
König Charles II kann unter radikaler Eliminierung jeglichen protestantischen
und parlamentarischen Widerstands und großem Beifall des Volkes nun wieder
eine absolutistische Monarchie nach französischem Vorbild etablieren.
Nach einem kurzen Triumph im Bürgerkrieg emigrieren Puritaner und Non-Konformisten
("Dissenters") nun aus der öffentlichen Wahrnehmung in den politischen
Untergrund, in das befeindete Holland oder in die nordamerikanischen Kolonien.
Dagegen wird denjenigen, die auf der Insel bleiben und dem König die Stange
halten, noch viel übler mitgespielt: Die Pestepidemie 1665 und der grosse
Brand von London von 1667 vernichten quasi die halbe Stadt. Um den Wiederaufbau
und den teuren Krieg gegen Holland zu finanzieren, trifft der König schliesslich
eine fragwürdige Allianz mit dem katholischen Frankreich, die erwartungsgemäß
scheitert und letztendlich in der totalen Pleite des Königshauses resultiert.
Soviel dazu. Nichtsdestotrotz gilt diese wilde Periode der Restauration
als erste Blüte der gerade entstehenden, rational begründeten Naturwissenschaft,
die nun endgültig aus dem Schatten einer metaphysisch verklärten Alchemie
hervortritt:
Während ein junger Wissenschaftler namens Isaac Newton erste Überlegungen
zu Optik und Mechanik formuliert und Robert Hooke mit Hilfe eines ersten
Mikroskops den Zellaufbau in allem lebendigen Material entdeckt, vergnügt
sich ein gewisser Samuel Pepy mit Damen unterschiedlicher Provenienz und
notiert seine Eindrücke in einem geheimen Journal. Trotz auf ersten Blick
so unterschiedlicher Motivation versammeln sich all jene regelmässig in
der soeben gegründeten Royal Society, einer der ersten Institutionen zur
Pflege und Förderung der Naturwissenschaft.
So weit, so gut. In der breit angelegten augmented history von
Neal Stephenson's Quicksilver trifft der fiktive junge Wissenschaftler
und Querdenker Daniel Waterhouse im Lauf seiner Karriere nicht nur auf
den jungen Isaac Newton, Samuel Pepy und später (!) G.W. Leibniz, sondern
hilft auch John Wilkins beim Versuch eine erste philosophische Universalsprache
zu entwickeln usw. usf. Jedenfalls ein amüsant barockes Science Fiction-Epos
voller sympathischer Protagonisten dessen Unterhaltungswert mit jeder
Überdehnung historischer Fakten wächst.
Wer dagegen näher an den tatsächlichen Verhältnissen bleiben möchte, dem
sei das Tagebuch des Samuel Pepy's empfohlen: Samuel Pepy, Cambridge-Absolvent
und kluger Staatsbeamter, später Vorsitzener der Royal Society und leidenschaftlicher
Geniesser des gesellschaftlichen Lebens, der kulinarischen Vorzüge und
der weiblichen Bevölkerung Londons führte zwischen 1660 und 1669 ein geheimes
Tagebuch, das einen überaus lebendigen Eindruck damaliger Verhältnisse
bietet:
14.2. Valentinstag. Mrs. Bagwell wollte meine
"Valentine" sein, aber mein Gelübde bewahrte mich davor, etwas
mit ihr anzufangen.
15.2. Mit Creed ins Gresham College zur Royal
Society, wo ich heute als Mitglied aufgenommen wurde. Sehr angenehm den
Diskusionen zuzuhören und die Experimente zu beobachten. Heute ging es
um die Natur des Feuers, wie es erlischt, wenn keine Luft da ist und schwächer
wird, wo die Luft unrein wird.
20.2. Mrs. Bagwell erscheint in meinem Büro.
Ich schicke sie weg, besuchte sie dann aber in ihrem Haus und vergnügte
mich unter erheblichen Schwierigkeiten mit ihr. Als ich nach Hause kam,
erzählte mir meine Frau, daß sie eine neue Kammerzofe angestellt hat.
Eine besonders hübsche, ich muß sehr vorsichtig sein..
21.2. Schmerzen im Zeigefinger der linken
Hand, von den Kämpfen avec la femme que je erwähnte gestern.
Pepy entlarvt sich bald als notorischer Hypochonder:
26.3. Heute vor sieben Jahren habe ich mit
Gottes Hilfe meine Blasenstein-Operation überstanden. Erfreue mich der
allerbesten Gesundheit und möchte nur wissen, ob es an der neuen Hasenpfote
liegt, die ich als Talisman gegen Darmwinde trage.
Und verzichtet selbst am Höhepunkt der Pestepidemie nicht auf gewissen
Luxus:
9.3. Den Abend mit Mrs. Knipp bei allerlei
Gesang und allgemeiner Fröhlichkeit verbracht. Gott vergib mir, ich stelle
fest, daß ich meine Neigung zum Vergnügen noch immer nicht unter Kontrolle
habe und meinen Geschäften dadurch schade. Musik und Frauen kann ich nicht
widerstehen, wie dringend auch immer meine Geschäfte sein mögen !
|
-
WHAT TO READ
Neal Stephenson 'Quicksilver' 2003
Random House UK
The Diary of Samuel Pepys
http://www.pepysdiary.com
Samuel Pepy's Tagebuch,
Reclams Leipzig
|